Störungsbilder und Fahreignungsmängel

Schlaganfall

Bei Schlaganfall können die körperlichen und geistigen (psychischen) Voraussetzungen zum Führen eines Kraftfahrzeuges betroffen sein:

Halbseitige Lähmungen: Durch entsprechende Umbauten am Fahrzeug können solche Fahreignungsmängel unter Umständen kompensiert werden.

Für die komplexen neuropsychologischen Schlaganfallfolgen sollten die generellen Richtlinien zur kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit gelten. Vor allem Störungen der Aufmerksamkeit (einschließlich der Verzögerung der Reaktionszeiten und der Verlangsamung der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit) und der Wahrnehmung, besonders im Falle eines visuellen Vernachlässigungssyndroms (Neglect), schränken die Fahreignung wesentlich ein, aber auch Störungen der Orientierung und des Gedächtnisses. Es bestehen in beschränktem Maße Kompensationsmöglichkeiten; unter Umständen kann eine bedingte Fahreignung ausgesprochen werden.

Aphasische Sprachstörungen schließen Fahreignung nicht aus. Es sollte jedoch geprüft werden, ob nicht begleitend neuropsychologische Funktionsstörungen vorliegen. Um bei Verkehrskontrollen nicht in schwierige Situationen zu geraten, empfiehlt sich ein entsprechender Ausweis.

Die Beurteilung der Fahreignung nach Schlaganfall muss die Feststellung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit umfassen und nötigenfalls auch eine neuropsychologische Untersuchung einschließen. Im Zweifelsfalle empfiehlt es sich, eine praktische Fahrprobe durchführen zu lassen, um die Gefährdung im Straßenverkehr durch Leistungsmängel konkret beurteilen zu können und um die Möglichkeit der Kompensation angemessen einschätzen zu können. In der Beurteilung der Fahreignung ist auch die Gefahr eines wiederholten Schlaganfalls einzuschätzen; solange diese signifikant erhöht ist, kann keine Fahreignung attestiert werden. Nachuntersuchungen werden im Abstand von 1, 2 und 4 Jahren empfohlen. Das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 ist bei Erkrankungen aus diesem Formenkreis ausgeschlossen.

Schädel-Hirn-Trauma und neurochirurgische Eingriffe

In der Regel scheint nach einer unfallbedingten (traumatischen) Hirnverletzung oder nach einem neurochirurgischen Eingriff, der zu einer Substanzschädigung des Gehirns führte, eine Fahreignung für Kraftfahrer der Gruppe 1 und 2 für die Dauer von drei Monaten nicht gegeben. Dies sollte nicht gelten, wenn durch eine nervenärztliche/neurologische Untersuchung (eventuell mit neuropsychologischer Zusatzuntersuchung) ausgeschlossen werden kann, dass Leistungsminderungen die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit für die Fahreignung einschränken. Die Beurteilung der Fahreignung nach Hirnoperation, Schädel-Hirn-Trauma oder bei angeborenen oder frühkindlichen Hirnschäden hat entsprechend der im Einzelfall vorliegenden Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit zu erfolgen. Dabei sind die Störungen der Motorik, der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und der Urteils- und Einsichtsfähigkeit in Betracht zu ziehen, aber auch die Möglichkeiten zur Kompensation zu beachten. Bei Rezidivgefahr (z.B. Hirntumoroperationen) müssen Nachuntersuchungen und Begutachtungen in angemessenen Abständen (1, 2 und 4 Jahre) erfolgen. Für Kraftfahrer der Fahrzeuggruppe 2 sollte nach Schädel-Hirn-Verletzungen und nach neurochirurgischen Eingriffen am Gehirn – auch bei Beschwerdefreiheit – eine nervenfachärztliche/neurologische Untersuchung mit neuropsychologischer Zusatzuntersuchung zur Feststellung der Fahreignung erfolgen.

Hemianopsie

Eine komplette homonyme Hemianopsie (gesamter Gesichtsfeldausfall auf beiden Augen) schließt von der Teilnahme am Straßenverkehr aus. Ergibt sich ein horizontales Gesichtsfeld von weniger als 120 Grad auf einem Auge (= funktionelle Einäugigkeit), so kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 (Kraftfahrzeuge der Klassen A,B,B+E und F) für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren erteilt werden, wenn durch eine fachärztliche Stellungnahme bestätigt, dass beim normal sehenden Auge ein normales Gesichtsfeld und eines Sehschärfe von mindestens 0,8 ohne oder mit Korrektur vorhanden ist. In Grenzfällen wird von augenärztlicher Seite eine Gesichtsfeldbestimmung mithilfe eines Perimeters vorgenommen. Dies ist allerdings kritisch zu würdigen, da Untersuchungen gezeigt haben, dass manche Patienten mit homonymer Hemianopsie sich im Fahrsimulator in ihren Reaktionen auf verschiedene Straßenverkehrssituationen nicht wesentlich von Gesunden unterscheiden.

Doppelbilder

Das Auftreten von Doppelbildern stellt eine Gefährdung im Kraftverkehr da, weil der betroffene Kraftfahrer Gefahrensituationen nicht richtig einschätzen kann. Im Falle des Doppeltsehens ist die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme gegeben.

Nystagmus

Beim Vorliegen von Nystagmus (Augenzittern) ist auch bei Erbringen der geforderten Sehschärfe eine fachärztliche Stellungnahme beizubringen, die die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 bestätigt. Für Lenkberechtigungsbesitzer der Gruppe 2 (Kraftfahrzeuge der Unterklassen C1 und C1+E sowie der Klassen C, D, C+E, D+E und G) besteht bei Nystagmus keine Fahreignung.

Drehschwindel

Bei ständig oder periodisch, d.h. attackenförmig autretenden Störungen des Gleichgewichts (im Sitzen!) in Form von Drehschwindel, Schwankschwindel oder Liftschwindel bei Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans (z.B. bei Menieresche Erkrankung, Neuronitis vestibularis, akuter toxischer oder traumatischer Labyrinthläsion, beningner Lagerungsschwindel) oder nach Erkrankungen oder Verletzungen des Hirnstamms und des Kleinhirns (Infarkt, Blutung, Tumor) besteht keine Fahreignung. Auch wenn bei attackenförmig auftretendem Schwindel die Fahrleistung außerhalb der Schwindelattacken uneingeschränkt ist, so bedeutet die Unvorhersehbarkeit weiterer Attacken eine erhebliche Gefährdung für die Fahreignung und damit für die Verkehrssicherheit. Wenn trotz subjektiver Symptomfreiheit – ohne dass eine Schwindelsymptomatik vorliegt – in der Gleichgewichtsprüfung positive (d.h. krankhafte) Befunde erhoben werden, die auf eine Störung des Gleichgewichtssinnes schließen lassen, ist das Fahren einspuriger Kraftfahrzeuge mit Gefährdung verbunden. Die Fahreignung hierfür kann dann unter Umständen eingeschränkt sein.

Epilepsie

Wer unter persistierenden epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartig auftretenden Bewusstseinsstörungen leidet, ist in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden, solange ein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven besteht. Das Risiko liegt in einer plötzlich auftretenden Störung des Bewußtseins oder der Motorik durch einen epileptischen Anfall oder andere akute Beeinträchtigungen, z.B. narkoleptische Reaktionen, affektiver Tonusverlust, psychogene Anfälle oder kardiovaskuläre Synkopen. Grundsätzlich besteht keine Fahreignung. Es werden jedoch Ausnahmen von dieser Regel eingeräumt, wenn spezielle medizinische Bedingungen vorliegen und/oder das Rezidivrisiko eines erneuten Anfalles als gering einzuschätzen ist. Falls das geforderte anfallsfreie Intervall erreicht wurde, muss die Hirnstromkurve (EEG) nicht frei von so genannten epilepsietypischen Potenzialen sein. Wenn allerdings eine massiv ausgeprägte Spike-wave-Aktivität vorliegt, ist dies als Indikator für eine Rezidivneigung anzusehen und vom Lenken eines Kraftfahrzeuges abzuraten.

Nach Absetzen der Antiepileptika wird für die Dauer der Reduzierung und des Absetzens der Arzneimittel sowie die ersten Monate danach wegen des erhöhten Anfallsrezidivrisikos empfohlen kein Kfz zu lenken. Bei Auftreten eines Anfallrezidivs genügt in der Regel eine Fahrunterbrechung von 6 Monaten, wenn vorher die vorgeschriebene anfallsfreie Frist eingehalten wurden. Für Kraftfahrer der Kraftfahrzeuggruppe 2 besteht in der Regel keine Fahreignung mehr.

Parkinson-Syndrom

Bei Erkrankungen dieses Formenkreises wird die Fahreignung vorwiegend durch die Verlangsamung der motorischen Reaktionen (Hypokinese, Bradykinse) beeinträchtigt, hierdurch kann eine konkrete Gefährdungssituation entstehen. Begleitenden Hirnleistungsstörungen (Aufmerksamkeitseinschränkungen, geistige Verlangsamung, Demenz, Depression) können die geistige Leistungsfähigkeit soweit einschränken, dass dadurch keine Fahreignung mehr besteht. Auch milde bis mittelgradige Ausprägungen des Parkinson-Syndroms setzen die Fähigkeit zum sicheren Lenken eines Kraftfahrzeuges herab und erhöhen – vor allem in Kombination mit fortgeschrittenem Alter – das Unfallrisiko. Wenn bei M. Parkinson Fluktuationen der Beweglichkeit auftreten (vorhersehbar oder unvorhersehbar), handelt es sich um eine fortgeschrittene Erkrankung, bei der keine Fahreignung mehr gegeben ist. Ebenso schließen die Symptome einer Demenz, mit denen bei bis zu 30 % der Parkinson-Patienten, nicht selten auch in einem frühen Stadium zu rechnen ist, die Fahreignung aus. Sind bei einem Parkinson-Patienten intrazerebrale Stimulationselektroden zur Behandlung der Erkrankung implantiert (tiefe Hirnstimulation), so schließt dies Behandlung per se die Fahreignung nicht aus. Diese soll nach dem klinischen Zustandsbild des Patienten eingeschätzt werden. Eine besondere Gefährdung entsteht bei der (seltenen) progressiven supranukleären Blickparese durch die Einschränkung der willkürlichen Blickwendung, die eine angemessene Beobachtung des Straßenverkehrs erschwert oder – bei fortgeschrittenen Verläufen – unmöglich macht.

Unabhängig vom Stadium der Erkrankung kann die Behandlung mit Dopaminergika (Levodopa, Dopaminagonisten) zu erhöhter Tagesmüdigkeit und plötzlichem einschlafen führen, in seltenen Fällen auch ohne vorhergehende Müdigkeit. Dieses Risiko besteht bei allen Substanzgruppen. Allerdings zeigen nicht ergotaminartige Dopaminagonisten (Pramipexol, Polpinirol) hier ein geringgradig höheres Gefährdungspotential als andere Dopaminergika. Unter Pramipexol und Ropinirol kann es besonders in der Aufdosierungsphase zu vermehrter Müdigkeit kommen. Ein generelles Fahrverbot für Patienten, die dopaminerge Medikation einnehmen, ist nicht zu empfehlen. Eine Aufklärung über die Risiken dieser Substanzen ist notwendig und der Patient und der Patient ist dann nicht fahrtauglich, wenn anamnestisch die erwähnten Symptome eruierbar sind.

Die Beurteilung, inwieweit Fahreignung vorliegt oder nicht, hat sich an den generellen Richtlinien zur Fahreignung zu orientieren Sie darf nicht allein von dem Ausprägungsgrad der extrapyramidalmotorischen Symptome abhängig gemacht werden und setzt die Untersuchung durch den erfahrenen Nervenarzt/Neurologen, nötigenfalls mit einer neuropsychologischen Zusatzuntersuchung voraus. Bei Lenkberechtigungsbesitzern ist unter Umständen eine praktische Fahrprobe durchzuführen. Der chronisch fortschreitende Charakter der Erkrankung verlangt eine jeweils im Einzelfall zeitlich festzusetzende regelmäßige Nachuntersuchung nach 1, 2 und 4 Jahren. Nur bei erfolgreicher Therapie oder bei leichteren Fällen der Erkrankung, unter Umständen nach psychologischer Zusatzbegutachtung, ist die Fähigkeit zum Führen der Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 gegeben.

Multiple Sklerose

Die Fahreignung ist entsprechend der klinischen Symptome nach den Grundsätzen der allgemeinen Fahreignung sowohl hinsichtlich der körperlichen als auch der geistigen Leistungsvoraussetzungen zu beurteilen. Bei der Häufigkeitsverteilung der klinischen Symptome stehen motorische und sensible Funktionsstörungen im Vordergrund, d.h. Einschränkungen in der Gebrauchsfähigkeit von Armen und Beinen. Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit (Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit) scheinen entsprechende internationaler Untersuchungen die Fahreignung jedoch stärker zu betreffen. In der Beurteilung ist jeweils immer vom Einzelfall und von einem konkreten Gefährdungsmoment auszugehen. Die Kompensationsmöglichkeiten durch technische Fahrzeugum-/einbauten und durch erhöhtes Verantwortungsbewusstsein des betroffenen Kraftfahrers sind mit in Betracht zu ziehen. Wegen des progredienten Verlaufs und des nicht sicher vorhersehbaren Einsetzens erneuter Schübe der Erkrankung sind häufige neurologische Kontrollen notwendig. Die regelmäßige neurologische Untersuchung und Behandlung sollte dokumentiert werden.

Neuromuskuläre Erkrankungen

Bei den Muskelerkrankungen (Myopathien, Myotonien und Myasthenie) liegt das Gefährdungspotential in der durch die Störung der willkürlichen Muskelanspannung bedingten unsicheren oder unzureichenden Bedienung der Pedale und Fahrhebel. Da die Myasthenia gravis, das mit 90 % häufigste myasthenische Syndrom, in 50 % der Fälle mit Okulomotorikstörungen, d.h. belastungsabhängig auftretenden Doppelbildern und einer Ptosis beginnt, können zunächst solche Störungen zu einer Einschränkung oder einem Verlust der Fahreignung führen. Bei periodischen Lähmungen wird zur positiven Beurteilung der Fahreignung vorausgesetzt, dass die Lähmungen nicht mehr auftreten oder dass sie langsam einsetzen und damit von den Betroffenen zunächst kontrollierbar sind.

Bei schweren Formen der Polyneuropathie kann eine reaktionsschnelle und kontrollierte Bedienung der Fußbedale sowohl durch die Sensibilitätsstörungen als auch durch Paresen erschwert oder unmöglich sein. Dies gilt sinngemäß auch für Nervenwurzelerkrankungen, z.B. im Rahmen eines Bandscheibenvorfalls oder peripherer Nervenläsionen (z.B. Peronäusläsion).